Assange darf Berufung vor dem britischen High Court gegen seine Auslieferung an die USA einlegen

Zwei britische Richter haben heute dem WikiLeaks-Journalisten Julian Assange das Recht eingeräumt, gegen seine Auslieferung an die Vereinigten Staaten Berufung einzulegen. Dort drohen ihm eine Anklage und lebenslange Haft unter dem Espionage Act. Assange hat die letzten fünf Jahre gegen seine Auslieferung gekämpft, während er im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh eingesperrt ist.

Im Januar 2021 war die Auslieferung wegen Assanges psychischer Gesundheit von einem Gericht abgelehnt worden, doch im Dezember desselben Jahres hob der High Court das Urteil wieder auf. Assanges Anwälte legten daraufhin Berufung ein. Sie argumentierten unter anderem, dass sein Recht auf Leben und ein ordentliches Gerichtsverfahren nicht gewährleistet seien und ihm eine grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung in den USA drohen könnte.

Julian Assange [AP Photo/Matt Dunham]

Der High Court beschränkte sich im März dieses Jahres darauf, die Auslieferung aufgrund des britischen Rechts nicht zu genehmigen, weil ihm die Todesstrafe drohen und er aufgrund seiner ausländischen Staatsbürgerschaft in den USA benachteiligt werden könnte. Zudem könnte ihm sein Recht auf freie Meinungsäußerung verwehrt werden. Der High Court erlaubte der US-Regierung, Zusagen zu machen, um diese Bedenken auszuräumen, die diese am 16. April auch gab.

Assanges Anwälte akzeptierten zwar die Zusicherung, dass die Todesstrafe nicht verhängt wird, stellten aber andere Zusagen in Frage. So wird von den USA darauf verwiesen, dass sich Assange in seiner Verteidigung auf den ersten Zusatz der amerikanischen Verfassung berufen könne, der die Redefreiheit garantiert. Doch der leitende US-Staatsanwalt Gordon Kromberg hat öffentlich gesagt, dass Assange dieser Schutz bei einem Prozess in den USA verwehrt werden könnte, da er kein amerikanischer Staatsbürger ist.

Der Jurist Edward Fitzgerald, der Assange vertritt, wies auf die „offenkundig unzureichende Zusicherung“ der USA hin. Sie hätten „die Staatsanwaltschaft nicht verpflichtet, den Punkt zu berücksichtigen, der diesem Gericht Anlass zur Sorge gab, nämlich die Tatsache, dass Assange als ausländischer Staatsbürger nicht berechtigt ist, sich auf den ersten Verfassungszusatz zu berufen … zumindest in Fragen der nationalen Sicherheit.“

„[E]ine konkrete Zusage oder Verpflichtung des Staatsanwalts [Kromberg] wäre ein erster Schritt“, aber „selbst dieser erste Schritt wurde nicht unternommen“.

Das „reale Risiko“, dass Assange seine Rechte verweigert werden, wie es der High Court in seinem früheren Urteil festgestellt hat, bleibe nach der „bestenfalls zweideutigen und absolut unzureichenden Zusicherung“ bestehen.

An die schwammigen Formulierungen der Zusicherungen gebunden, war der US-Anwalt James Lewis gezwungen, völlig neue Argumente vorzubringen, die in früheren Anhörungen noch nicht thematisiert wurden. Sie zeigten vor allem, dass Washington die Absicht hat, Assange das Recht auf Meinungsfreiheit zu verwehren. Lewis war nicht in der Lage zu behaupten, dass die Zusicherung der USA hinsichtlich des Rechts auf freie Meinungsäußerung irgendetwas derartiges sei, und argumentierte im Wesentlichen, dass eine solche Zusicherung in keinem Fall gerechtfertigt sei.

Er beharrte darauf, dass Assange nicht aufgrund seiner Nationalität diskriminiert werde, indem ihm der Schutz des ersten Verfassungszusatzes verweigert werde. Für ihn gelte der erste Verfassungszusatz einfach rechtlich nicht in vollem Umfang, weil er kein US-Bürger ist, so Lewis.

Daraus schloss er: „Er wird nicht wegen seiner Nationalität diskriminiert werden. Er kann und wird in der Lage sein, all diese Argumente [bezüglich der Redefreiheit] vorzubringen ... er wird sich darauf verlassen können.“

Wie Fitzgerald später feststellte, ist dies nicht der Fall. Der Wortlaut der Zusicherung garantiert lediglich, dass Assange „versuchen kann, sich auf den Schutz des ersten Verfassungszusatzes zu berufen“, wobei „eine Entscheidung über die Anwendbarkeit des ersten Verfassungszusatzes“ ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich der US-Gerichte falle.

Lewis bestätigte und rechtfertigte diese Tatsache, indem er behauptete, dass Assanges Verhalten nicht notwendigerweise unter den Schutz des Ersten Verfassungszusatzes falle, aber „nicht aufgrund seiner Staatsangehörigkeit, sondern möglicherweise deshalb, weil er ein Ausländer ist, der auf ausländischem Boden Handlungen vornimmt, die die nationale Sicherheit betreffen“.

Hier wird die Argumentation des US-Imperialismus entlarvt: Das Spionagegesetz wird genutzt, um Journalisten, die als Bedrohung der nationalen Interessen betrachtet werden, zu verhaften und sie ohne grundlegenden rechtlichen und demokratischen Schutz vor Gericht zu stellen.

Fitzgerald fasste Assanges Antwort auf diese Argumente vor Gericht so zusammen: „Es gibt zu viele faktische Fragen, die unbeantwortet bleiben. Was ist die Position der Staatsanwaltschaft? Es gibt zu viele rechtliche Fragen, die gerade zum ersten Mal aufgeworfen wurden und ungelöst sind, um den unwiderruflichen Schritt zu gehen, die Zulassung [zur Berufung] zu verweigern.“

In dem kurzen Urteil des High Court stellten sich die Richter Victoria Sharp und Justice Johnson auf die Seite von Assange und gewährten ihm das Recht, in Berufung zu gehen.

Das Urteil ist ein Sieg, da es zum einen die sofortige Überstellung von Assange nach Amerika verhindert – was passiert wäre, sofern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht noch erfolgreich eingegriffen hätte. Zum anderen enthüllt der Richterspruch den reaktionären Charakter der US-Strafverfolgung. Assanges Unterstützer haben mit Verweis auf das Urteil die Biden-Regierung aufgefordert, die Anklage vollständig fallen zu lassen.

Stella Assange spricht zur Presse und Anhängern von Julian Assange vor dem High Court, 20. Mai 2024

Assanges Frau Stella sagte vor dem Gerichtsgebäude gegenüber Journalisten: „Die Vereinigten Staaten sollten die Situation einsehen und das Verfahren jetzt fallen lassen... Beendet einfach diesen schändlichen Angriff auf Journalisten, auf die Presse und die Öffentlichkeit, der seit 14 Jahren andauert.“

„Der Fall ist beschämend und belastet Julian enorm. Er steht unter großem Druck. Seit über fünf Jahren sitzt er im Belmarsh-Gefängnis... Dieser Fall sollte einfach beendet werden. Die Biden-Regierung hätte ihn vom ersten Tag an aufgeben sollen.“

Auch der Chefredakteur von WikiLeaks, Kristinn Hrafnsson, betonte: „Es hätte in diesem Gerichtssaal nicht mehr als fünf Minuten dauern sollen, bis die Richter erkennen, dass die USA Julian keine Zusicherungen geben würden, dass sie ihn diskriminieren würden, dass sie ihm keinen Schutz nach dem ersten Verfassungszusatz gewähren würden.“

WikiLeaks-Chefredakteur Kristinn Hrafnsson spricht vor dem High Court, 20. Mai 2024

„Es hat ein paar Stunden gedauert, aber die Richter sind zu einem gerechten und richtigen Schluss gekommen. Julian Assange hat nun das Recht, Berufung einzulegen. Und das allein sollte schon die richtige Botschaft an die Regierung Biden sein. Ihr seid auf verlorenem Posten. Ihr verliert diesen Fall. Wenn ihr in irgendeiner Form euer Gesicht wahren wollt, dann lasst das Verfahren gegen Julian Assange fallen, lasst es sofort fallen.“

Die Biden-Regierung muss das Verfahren einstellen. Um das zu erreichen, bedarf es jedoch mehr als juristische Argumente und moralischen Druck. Hinter den Kulissen ist sorgfältiges politisches Kalkül am Werk.

Das letzte Mal, dass eine Entscheidung zu Assanges Gunsten ausfiel, war die ursprüngliche Ablehnung der Auslieferung am 4. Januar 2021. Damals war die US-Regierung in einer tiefen Krise. Ex-Präsident Donald Trump versuchte, mit einem Putsch und dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar den Amtsantritt von Joe Biden zu verhindern.

Jetzt tobt erneut eine politische Krise. Biden verliert aufgrund seiner Komplizenschaft beim Genozid im Gazastreifen an Unterstützung – und das im Vorfeld der US-Präsidentschaftswahlen im November, in denen Trump erneut gegen Biden antritt. Im Weißen Haus wird es eine Fraktion geben, die es bevorzugt, das Verfahren gegen Assange hinauszuzögern, damit die Demokraten nicht mit einem weiteren potenziell explosiven politischen Thema konfrontiert werden. Das wäre aber der Fall, wenn der WikiLeaks-Gründer durch die US-Gerichte geschleift wird.

Solche Erwägungen bedeuten jedoch nicht mehr als eine Verzögerung – und eine längere Haft für Assange unter unerträglichen Bedingungen im Belmarsh-Gefängnis. Auch ist nicht garantiert, dass Assanges demokratische Rechte vom Staatsapparat der USA nicht ebenso öffentlich mit Füßen getreten werden wie die Rechte von Studierenden, die gegen den Massenmord an den Palästinensern protestieren.

Assange kann nur befreit werden, wenn seine Verteidigung vor Gericht mit einer entschlossenen Massenbewegung der Arbeiterklasse in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und weltweit verbunden wird. Ein Termin für die Berufung steht noch nicht fest. Die Zeit bis dahin muss genutzt werden, um diese Bewegung aufzubauen.

Loading